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Friday, July 31, 2020

Boxenstopp - brand eins

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Derlei ist keine Übertreibung. In den Kriegen und Kriegsvorbereitungen des 20. Jahrhunderts spielte die Pause eine wichtige Rolle. Totalitäre Regime kümmerten sich auch um die Freizeitgestaltung ihrer Untertanen, in Deutschland die Nationalsozialisten und in der Sowjetunion die Stalinisten. Kaum irgendwo wird der Sinn der Pause so klar wie in dem sprechenden Namen „Kraft durch Freude“, der zentralen Freizeitorganisation des Dritten Reiches. Durch Ferien, Pausen und Reisen sollten Gemüt und Körper auf die künftigen Belastungen in der Produktion und letztlich im Krieg vorbereitet werden. Bei den Nazis gab es in den schlimmsten Kriegsjahren einen regelrechten Pausenkult – da schunkelten verstümmelte Invaliden im Dreivierteltakt im Wunschkonzert der Fronturlauber zu Zarah Leanders „Davon geht die Welt nicht unter“, ein Wunsch, dem sich die Welt verschloss.

Zwischen den Illusionen, die man sich machte, wurde unermüdlich gekämpft, nicht nur aus Überzeugung, auch die forschende Pharmaindustrie half.

Der Chemiker Fritz Hauschild entwickelte in den Dreißigerjahren „Pervitin“, ein Methamphetamin, das der heutigen Modedroge Chrystal Meth entspricht. Damit wurden junge Soldaten seit dem Polenfeldzug versorgt, Panzerschokolade nannte man das Zeug. Entwickelt wurde Pervitin, wie der Militär-Historiker und Regisseur Gorch Pieken herausgefunden hat, nicht für die Wehrmacht, sondern fürs Management. Die leitenden Angestellten maßen ihre eigene Bedeutung nicht mit unmännlichen intellektuellen Fähigkeiten, sondern mit robuster körperlicher Leistungsfähigkeit: Munter und kräftig, frisch und fröhlich sollte man ans Werk gehen, pausenlos, wie es auch die Maschinen und Fabriken taten, die man beaufsichtigte.

Pause ist Schwäche. Stillstand wird nicht geduldet. Diese Generation der Industriemanager brüstete sich damit, möglichst wenig zu schlafen, höchstens vier Stunden, wie Napoleon, so lautete eine gängige Prahlerei aus dem Milieu.

Heute trägt man den Aktionismus der Organisation noch sichtbarer nach außen. Am Wochenende läuft man Marathon oder segelt und radelt durch die Weltgeschichte. Hauptsache, es scheppert auch dort, wo sonst Ruhe und Frieden herrschen könnte. Die gute, alte Mittagspause, die einst dazu diente, zu essen und zu trinken und vielleicht mit den Kollegen noch ein wenig über den Chef oder andere herzuziehen, ist ein Auslaufmodell – man geht mit Geschäftspartnern oder Mitarbeitern zum Lunch, um statt Pause Personalfragen und all die Nebensachen zu besprechen, zu denen man sonst keine Zeit hat. Für den Zeitforscher Geißler macht das deutlich, dass die Pause eben nur ein Lückenfüller ist, in den man reinpackt, was sonst nicht so wichtig ist – Mitarbeiter und das eigene Leben.

Gewiss: Schon vor Jahrzehnten flüchteten die Leute vorm Hamsterrad der fremdbestimmten Arbeit ins Wochenende, immer mit ein wenig Angst vor dem Montag im Kopf. „Dann sind die Leute von der Stadt in die Natur gefahren, um sich selbst zu begegnen – und damit natürlich gescheitert, weil alle anderen am Wochenende genau das Gleiche gemacht haben“, sagt Geißler. Solche Dramen wiederholen sich auf Autobahnen und Flugplätzen und in Urlaubsorten auf der ganzen Welt. Immer entlegener werden die Orte, an denen die, die es sich leisten können, versuchen, dem Trott zu entgehen. Diese Art der Pause aber kann, wenn das klappt, durchaus zerstörerische Wirkung für alte, schlechte Angewohnheiten entfalten: Die Geschichten von Leuten, die in Ruhe über das nachdenken, was sie machen, nehmen zu. Damit steigt die Chance, dass Leute außer Atem wieder zu sich und damit zur Vernunft kommen.




July 31, 2020 at 03:00PM
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Pause

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