Die Fünfkämpferin Annika Schleu fährt nach der Olympia-Verschiebung zweigleisig. Sie will jetzt ihre Masterarbeit schreiben.
Später werden sich Berlins Schulen wahrscheinlich um Annika Schleu reißen. Die 30-jährige gebürtige Spandauerin ist Moderne Fünfkämpferin, also von Laufen über Schwimmen bis Fechten in vielen Disziplinen geschult. An den Schulalltag denkt die jetzige Lehramststudentin an der Humboldt-Uni aber noch nicht. Sie hat zunächst die verschobenen Olympischen Spiele in Tokio im Blick. „Nach Platz 4 in Rio möchte ich jetzt schon eine Medaille“, sagt sie. Sie schränkt aber auch ein: „Man braucht im Mehrkampf auch Glück, dazu das richtige Pferd, das man zugelost bekommt, und auch sonst muss es passen an dem Tag, denn wir sind alle eng inbeieinander.“
Im Training hat sie jetzt etwas die Uhr zurückgestellt. „Wir betreiben gerade Grundlagentraining, also das, was wir sonst im Herbst oder Winter machen“, sagt sie. Immerhin das. In der ersten Phase des Lockdowns war nicht viel möglich. „Wir sind da viel gelaufen“, sagt sie. „Dann wurden aber recht schnell die Sonderregelungen für Olympiaathleten festgelegt. Und da waren wir drei Frauen in Berlin. Wir durften das Trainingszentrum unter bestimmten inVoraussetzungen betreten, durften mit Abständen auch unser Lauftraining zu dritt machen.“
Problematischer gestaltete sich schon das Schwimmen. „In Berlin waren ja alle Schwimmhallen geschlossen. Erst später wurde für Olympiaathleten die Schwimmhalle Landsberger Allee geöffnet. Dort musste man aber zu ganz bestimmten Zeiten hinkommen und es durften auch nicht mehr als zwei oder drei Leute im Becken sein.“
Etwas neidisch blickte sie in dieser Zeit auf ihren Freund Christian Zillekens. Auch der ist Moderner Fünfkämpfer, auch der bereitete sich auf Olympia vor. Und er konnte früher in die Schwimmhalle. Das war in diesem Fall aber keine Geschlechterbenachteiligung. „Mein Freund gehört zu der Potsdamer Trainingsgruppe, ich zur Berliner. Wir wohnen zwar zusammen in Potsdam und auch die Potsdamer Schwimmhalle ist näher für mich. Die verschiedenen Trainigsgruppen sollten aus Hygienegründen aber getrennt bleiben. Deshalb bin ich zu Hause geblieben, als er zum Schwimmtraining ging“, erzählt Schleu.
Mehr Tierwohl als Training
Zum Einhalten der Hygieneregeln musste sie immerhin nicht aus der gemeinsamen Wohnung. Zusammen wohnen war weiter möglich, zusammen schwimmen nicht. Das Reittraining fiel für längere Zeit ebenfalls aus. „Wir durften zwar zu den Pferden, und wir haben sie auch bewegt. Aber es ging mehr um das Tierwohl als um ein Training. Die Pferde hatten ja keine Koppeln, standen die ganze Zeit. Und Bewegung war gut für sie. Sprungtraining haben wir nicht mir ihnen gemacht“, beschreibt Schleu. Am meisten litt das Fechten unter den Ausfällen.
Reguläres Training mit Waffe und Gegnerin war nicht drin. „Man kann immerhin die Arme und die Beine einzeln trainieren.“ Fechten ist ohnehin nicht die Lieblingsdisziplin der Mehrkämpferin. „Ich habe mir abgewöhnt zu sagen, dass ich es nicht mag, denn das ist schon ein erstes psychologisches Hindernis. Aber es ist die Disziplin, in der ich am wenigstens stabil bin“, sagt sie. Das Gute dabei: Läuft es im Fechten gut, weiß sie, dass sie ziemlich weit vorn landen wird.
Vom Sport allein nicht leben
Für die nächsten Monate plant Annika Schleu zweigleisig. Olympia ist das große Ziel. Parallel dazu will sie aber ihre Masterarbeit schreiben. „Eigentlich wollte ich das nach Olympia machen. Aber nun hat sich der Zeitplan geändert. Ich suche gegenwärtig nach einem Thema für die Arbeit.“ Auch die folgenden Olympischen Spiele in Paris hat sie im Visier. Die Vorbereitung darauf will sie dann mit ihrer Referendariatszeit an einer Schule verbinden.
Denn vom Sport allein können Moderne Fünfkämpferinnen nicht leben. Gegenwärtig ist Schleu Sportsoldatin und erhält auch ein Stipendium fürs Studium. Das wurde während der Pandemie weitergezahlt, ein Lichtblick. Auf ihre nächsten Wettkämpfe muss Schleu aber noch eine ganze Weile warten. „Im September soll es in Polen einen Wettkampf gemäß den Hygieneregeln geben. Das wäre dann der erste. Ende Oktober wird es die Deutschen Meisterschaften geben.“
Ganz dicke Hygienekonzepte für Geisterwettkämpfe oder kontrollierte Zuschauerströme müssen die Verantwortlichen ihres Sports nicht verfassen. „Zu unseren Wettkämpfen kommen eigentlich immer nur Verwandte und Freunde der Teilnehmer. Ganz selten sieht man jemanden, der nicht jemanden kennt. Das ist jetzt der Vorteil für eine Randsportart“, meint Schleu trocken. Für Tokio 2021 ermuntert sich Schleu zu einem pragmatischen Zweckoptimismus. Mit Zweifeln am großen Ziel fällt das Training viel schwerer. Also hofft sie, dass die Welt im nächsten Sommer bereit sein kann für Olympische Spiele.
July 28, 2020 at 03:19PM
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Leichtathletik nach Corona-Pause: Vorteile einer Randsportart - taz.de
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